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Wer an ein „gepflegtes“ Gewässer denkt, hat meist ein Bild vor Augen: keine Ablagerungen, kein Totholz, keine Pflanzen. Das Wasser kann ungehindert abfließen und alles ist schön ordentlich. Doch die Anforderungen an die Gewässerunterhaltung sind viel komplexer. Denn was für den Betrachter ordentlich und aufgeräumt erscheint, ist für Natur und Gewässerökologie ein Mangel an notwendigen Strukturen. Hinzu kommt, dass ein frisch gepflegtes Gewässerprofil meist nach kurzer Zeit wieder stark zuwächst und sich damit der Abfluss wieder deutlich verschlechtern kann. Diese Form der Pflege ist dann nicht nur schlecht für die Ökologie, sondern auch unwirtschaftlich.

Zwischen Abflussfreihaltung und ökologischer Entwicklung

Die Herausforderung der Gewässerunterhaltung besteht vielmehr darin, die Gewässerberäumung mit so viel Augenmaß durchzuführen, dass der Spagat zwischen Abfluss und Ökologie gelingt. Gemäß der gesetzlichen Aufgabe hat die Gewässerunterhaltung dafür zu sorgen, Gewässer zu pflegen, zu entwickeln und den ungehinderten Abfluss sicherzustellen., Vor allem in Bereichen, in denen der Hochwasserschutz eine besondere Rolle spielt, muss ein sinnvoller Umgang mit Sediment, Totholz und Pflanzenaufwuchs gefunden werden, damit der Wasserabfluss nicht behindert wird. Dann steht eine Beräumung im Raum – als notwendige Maßnahme, aber eben auch als Eingriff in ein sensibles Ökosystem.

Die Kunst liegt darin, beides in Einklang zu bringen: die Funktionsfähigkeit des Gewässers für den Wasserabfluss durch entsprechende Unterhaltungsmaßnahmen zu erhalten und gleichzeitig die natürlichen Strukturen möglichst weitgehend zu schonen.

Ökologische Auswirkungen – mehr als nur ein bisschen „Dreck“

Der Gewässergrund ist kein lebloser Sandkasten. Zwischen den Steinen, im Kies und selbst in schlammigen Ablagerungen leben zahlreiche Arten – von Großmuscheln über Insektenlarven und Kleintieren bis hin zu den Fischen, wie zum Beispiel dem Bachneunauge. Eine Beräumung kann deren Lebensraum massiv beeinträchtigen oder sogar zerstören.

Doch eine gezielte abschnittsweise Räumung zum richtigen Zeitpunkt bietet auch Chancen: Wird nicht die gesamte Sohle ausgebaggert und lässt man Sedimente einfach liegen, können diese als Rückzugsräume dienen und frei gelegte Substrate sogar die Wiederbesiedlung fördern. Voraussetzung ist, dass die Maßnahme sorgfältig geplant und naturschutzfachlich begleitet wird.

Hochwasserschutz – ein wichtiges, aber nicht alleiniges Ziel

Der häufigste Grund für die Räumung eines Gewässers ist die Verbesserung bzw. Wiederherstellung der zum Schutz der angrenzenden Nutzungen erforderlichen Abflussverhältnisse. Weniger Sediment und Aufwuchs bedeutet mehr Durchfluss – und damit weniger Risiko für die Überschwemmung angrenzender Flächen. Aber auch hier gilt: nicht reflexartig überall zur Schaufel oder zum Bagger greifen. Die Dringlichkeit der Entnahme sollte anhand der tatsächlichen potenziellen Beeinträchtigung geprüft werden. So besteht für Wiesen, Äcker und Wald ein wesentlich geringerer Schutzstatus als für Bebauung und Infrastruktur in dicht bebauten Gebieten. Bei Letzteren hat die Freihaltung des Abflussprofils tatsächlich Vorrang vor ökologischen Aspekten. In der freien Landschaft bzw. außerhalb von Siedlungsbereichen muss das Augenmerk der Gewässerentwicklung auf einer naturnahen und ökologisch hochwertigen Gewässerstruktur liegen.

Und besonders nach Hochwasserereignissen ist es wichtig, sorgfältig mit den dabei entstandenen Strukturen am Gewässer umzugehen. So kann eine gezielte Beräumung weitere Schäden minimieren, genauso kann aber auch der Erhalt der eigendynamisch entstandenen Strukturen einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Entwicklung des Gewässers leisten und die Ziele der WRRL unterstützen.

Vorgehensweise –Taktik, Timing, Technik

Eine fachgerechte Sedimentberäumung beginnt lange vor dem ersten Baggerhub. Zunächst wird festgelegt, welche Bereiche tatsächlich geräumt werden müssen. Besonders sensibel sind Kolke, Böschungsfüße und Aufweitungen – hier sollte gar nicht oder nur sehr behutsam eingegriffen werden.

Anschließend wird ein geeigneter Zeitraum gesucht. Bei Arbeiten im Fluss- oder Bachbett ist es wichtig, die Schonzeiten einzuhalten, um Amphibien, Fische, Insekten oder Vögel insbesondere in der Fortpflanzungszeit nicht unnötig zu stören. Dieser Zeitraum kann sich von Gewässer zu Gewässer unterscheiden. Daher ist eine Abstimmung mit der zuständigen Naturschutz- oder Fischereibehörde immer empfehlenswert. Bau- oder Pflegearbeiten sollten möglichst außerhalb dieser sensiblen Phasen stattfinden. Ein in den meisten Fällen günstiges Zeitfenster ist der Spätsommer, jedoch sollte dann besonders darauf geachtet werden, dass die Maßnahmen nicht in Niedrigwasserphasen durchgeführt werden.

Die Durchführung erfolgt idealerweise stromaufwärts. So bleiben Sicht und Arbeitsqualität hoch, und verdriftete Tiere werden nicht mehrfach erfasst. Entnommenes Material wird auf dem Gewässerrandstreifen zwischengelagert, um Kleintieren die Rückkehr ins Wasser zu ermöglichen. Fische, Amphibien und Muscheln, die nicht selbstständig zurückfinden, müssen abgesammelt und zurückgesetzt werden – eine Elektrobefischung vorab kann helfen, Verluste zu vermeiden.

Abschnittsweises Arbeiten ist Pflicht: Was heute bearbeitet wurde, bleibt im nächsten Turnus unberührt. So verteilen sich die Eingriffe und ganze Gewässerabschnitte bleiben zwischenzeitlich ungestört.

Fehler vermeiden – die Grenze liegt am Sohlniveau

Ein häufiger Fehler ist das zu tiefe Abtragen von Sediment. Wird unter das ursprüngliche Sohlniveau gearbeitet, drohen fortschreitende Erosionen, instabile Ufer und ein ökologisch verarmtes Profil. Ebenso problematisch: komplette Grundräumungen, die den Lebensraum Gewässersohle nahezu vollständig vernichten.

Wer mit einer dauerhaft hohen Sedimentfracht zu kämpfen hat, sollte nicht nur räumen, sondern auch deren Ursachen ermitteln. So kann etwa durch Sedimentfänge das Material geborgen und wiederverwertet werden oder durch strukturelle Verbesserungen dafür Sorge getragen werden, dass die Sedimentdynamik positiv beeinflusst wird, also entweder weniger Substrat mobilisiert oder der eigendynamische Abtransport durch das Gewässer gefördert wird.

Klimaschutz und Resilienz der Gewässer – Eingriffe auf das Nötigste begrenzen

Niedrigwasserzeiten sind denkbar ungünstig für Beräumungen von Sedimenten, Totholz oder Aufwuchs in der Gewässersohle. Die Arten ziehen sich in Trockenperioden in tiefere, dauerfeuchte Bereiche zurück, um Trocken- und Hitzestress zu vermeiden. Dafür sind Tiefenzonen und natürliche Strukturen und Substrate in der Gewässersohle dringend erforderlich. Eingriffe sollten daher nur erfolgen, wenn die Abflussleistung akut gefährdet ist und sich das Material nicht mehr selbstständig verlagert.

Zusammenarbeit mit Anliegern – ein unterschätzter Erfolgsfaktor

Viele Beräumungen scheitern nicht an der Technik, sondern an der Praxis: fehlender Zugang, nicht befahrbare Flächen, oder Missverständnisse mit Landnutzern. Frühzeitige Abstimmungen mit Eigentümern und Bewirtschaftern sind deshalb unerlässlich – sei es wegen der Befahrbarkeit von Feldern oder der Nutzung privater Wege.

Fazit: Sohlberäumungen sind kein Automatismus, also keine Routine-Gewässerunterhaltung, sondern ein sensibles Werkzeug in der Pflege und Entwicklung der Gewässer. Wer es gezielt, abschnittsweise und mit Blick auf die ökologischen Zusammenhänge einsetzt, kann Abflussfreihaltung und Naturschutz in Einklang bringen. „Aufgeräumt“ heißt eben nicht immer besser – aber durchdacht heißt fast immer nachhaltiger.

Mit Sediment und Holz verstopfter Durchlass einer Brücke. Dieses Abflusshindernis muss im Rahmen der Gewässerunterhaltung beseitigt werden.
Sohlberäumungen können mittels Baggereinsatz erfolgen. Es ist darauf zu achten, dass das Sediment nicht stärker als bis zur ursprünglichen Sohle abgetragen wird.
Aus dem Gewässer entnommene Substrate können zum Abtrocknen auf dem Gewässerrandstreifen zwischengelagert werden, sind danach aber abzutransportieren.
Biberdamm in der freien Landschaft. Dieses „Abflusshindernis“ sollte nicht beseitigt werden.
Verklausungen aus Totholz und Geschiebe in der freien Landschaft. Dieses Abflusshindernis sollte nicht beseitigt werden.
Standortfremder Bewuchs sowie krautiger Aufwuchs auf Sedimentablagerungen schränkt den Abflussquerschnitt ein.
Nach Abschluss der Arbeiten ist das ursprüngliche Bachbett wieder hergestellt. Die standortfremden Gehölze sind entfernt. Hochwasser kann problemlos abfließen.
Andreas Stowasser