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Der von der Wasserrahmenrichtlinie geforderte „gute ökologische Zustand“ vieler Gewässer ist in Sachsen noch nicht erreicht. Einer der entscheidenden Faktoren sind die hydromorphologischen Strukturen – also die Form, Ausprägung und Vielfalt von Sohle, Ufer, Lauf und Querprofil eines Gewässers. Sie bilden die Grundlage für Lebensräume, Artenvielfalt und ökologische Stabilität.

Diese Lebensräume kann man aktiv bauen, das ist aber sehr aufwendig und teuer, und deren Nachhaltigkeit und langfristiger (Selbst-)Erhalt sind nicht unbedingt gewährleistet. Effizienter ist es, die Natur selbst gestalten zu lassen – denn sie besitzt alles, was dafür nötig ist!

Die Natur als Baumeisterin

In naturnahen Fließgewässern lässt sich beobachten, wie Wasser seine Umgebung formt: Es schafft Kolke, Inseln, Uferabbrüche und neue Fließrinnen – mal sanft, mal kraftvoll. Besonders nach Hochwasserereignissen entstehen unzählige wertvolle Strukturen.

Auch Pflanzen sind Teil dieses Systems. Sie besiedeln die neu entstandenen Flächen, breiten sich aus, verschwinden wieder, und es entstehen immer neue Artengemeinschaften bis hin zu Auwaldgesellschaften – das ist Sukzession bzw. Vegetationsdynamik.

Wenn Wasser ausreichend Zeit und Raum hat, schafft es von selbst, was in Planunterlagen als Ziel definiert wird: strukturreiche, vielfältige und lebendige Gewässerlandschaften.

Eingeschränkte Dynamik – ein verbreitetes Problem

Viele unserer Bäche und Flüsse haben diese natürliche Bewegungsfreiheit verloren. Harte Uferbefestigungen, enge Trassen und intensive Pflege schränken die Eigendynamik ein und das Wasser kann kaum noch gestalten. Dabei wäre es gerade jetzt, in Zeiten knapper Mittel und begrenzter Personalressourcen, sinnvoll, auf das Potenzial der natürlichen Prozesse zu setzen: Sie wirken dauerhaft, dynamisch und kosten deutlich weniger als künstliche Eingriffe.

Kleine Maßnahmen mit großer Wirkung

Natürlich brauchen eigendynamische Entwicklungen Zeit – und manchmal auch einen Anstoß. Hier kommen ingenieurbiologische Bauweisen ins Spiel: einfache, naturnahe Bautechniken, die die Strömungen lenken und beleben.

Solche Initialmaßnahmen setzen Prozesse in Gang, die sich anschließend selbst verstärken. Es entstehen Bereiche unterschiedlicher Fließgeschwindigkeiten, Kolke bilden sich und es wird Geschiebe bewegt, sortiert und wieder abgelagert.

Das Ergebnis: wertvolle Strukturen, die Besiedlungsflächen bereitstellen und Rückzugsräume für Insekten, Käfer, Fische und Vögel bilden. Pflanzen siedeln sich in angelandeten Bereichen an und mit dem Austrieb von Gehölzen beginnt ein sich selbst tragender Entwicklungsprozess. Dazu sammelt sich organisches Material an. Es dient den genannten Arten als Nahrung. Je nach Bauweise können diese Prozesse von kleinen Umlagerungen innerhalb des Profils bis hin zu deutlichen Laufverlagerungen führen.

Planung mit Augenmaß

Damit eigendynamische Prozesse gezielt angestoßen werden können, müssen die gewählten Bauweisen an die örtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Maßgebend sind der Gewässertyp, die Profilbreite und das Gefälle, die Lichtverhältnisse sowie die angestrebte Wirkung. Auch die Dauer des Initialstadiums und die Erreichbarkeit der Baustelle sollten in die Planung einbezogen werden. Das Wichtigste ist aber, dass genügend Fläche für die Eigendynamik zur Verfügung steht. Dazu ist der gewässertypspezifische Korridor zu ermitteln und die dafür erforderlichen Flächen dauerhaft zu sichern.

Die Dimensionierung der Bauweisen ist von zentraler Bedeutung: Sind sie zu gering ausgeführt, bleibt die gewünschte Wirkung aus; bei zu großer Ausprägung können angrenzende Nutzungen beeinträchtigt werden. Ein fachgerechter Einbau und eine angepasste Pflege sichern den langfristigen Erfolg der Maßnahme.

Als Baumaterialien kommen sowohl austriebsfähiges als auch nicht austriebsfähiges Astwerk, Wasserbausteine und geeignetes Befestigungsmaterial in Betracht. Besonders bewährt haben sich Weidenarten und andere Gehölzjungpflanzen. Durch die Kombination verschiedener Bauweisen lässt sich die Wirksamkeit steigern und eine stabile, natürliche Entwicklung unterstützen.

Vertiefende Informationen bieten der Praxisleitfaden der TLUG (2015) sowie die DWA-Regelwerke M 620 Teil 1 und Teil 2 (2020, 2022). Ergänzende Hinweise und Informationen zu ingenieurbiologischen Bauweisen stellt zudem das Entscheidungsunterstützungssystem SOFIE® bereit, das die Auswahl und Anwendung von ingenieurbiologischen Bauweisen erleichtert.

Entwicklung begleiten – nicht kontrollieren

Wo neue Strukturen entstehen, steigt auch die Rauigkeit des Gewässerbetts. Dies führt wiederum zu einer Veränderung der Abflussdynamik. Eine ausreichende Abflussleistung des Profils ist daher notwendig, um unerwünschte Auswirkungen auf angrenzende Nutzungen zu vermeiden.

Ebenso wichtig ist die begleitende Beobachtung. Regelmäßige Kontrollgänge und Dokumentationen helfen, die Entwicklung zu verstehen und rechtzeitig zu reagieren, falls sich Prozesse ungünstig entwickeln. Diese Beobachtungspflicht dient der fachgerechten Begleitung der Gewässerentwicklung und gewährleistet zugleich eine rechtssichere und verantwortungsbewusste Unterhaltung gegenüber Dritten.

Mut zur Eigenentwicklung

Die notwendige Beobachtung, das gelegentliche Eingreifen und die mit natürlichen Prozessen verbundenen Unsicherheiten sollten nicht dazu führen, sämtliche Entwicklungen wieder vollständig zu planen oder kontrollieren zu wollen. Oft reichen wirklich kleine Impulse: ein Stück Uferverbau entfernen, den Lauf leicht verlagern, Strömungslenker einbauen. Solche minimalen Eingriffe können ausreichen, um die natürliche Entwicklung wieder in Gang zu bringen.

Wer das zulässt, fördert nachhaltige, kosteneffiziente und ökologisch stabile Gewässer – ganz ohne große Renaturierungsprojekte.

Fazit

Naturnahe Strukturen effizient zu entwickeln bedeutet, natürliche Prozesse gezielt zu fördern, anstatt fertige Strukturen herzustellen. Wer Gewässern ausreichend Raum und Zeit für Eigendynamik einräumt, nutzt ihre natürliche Gestaltungskraft und unterstützt so die Entwicklung stabiler und ökologisch funktionsfähiger Systeme.

Quellen:

TLUG – THÜRINGER LANDESANSTALT FÜR UMWELT UND GEOLOGIE (Hrsg.) (2015): Ingenieurbiologische Bauweisen für die eigendynamische Gewässerentwicklung. Praxisleitfaden. Schriftenreihe der TLUG, Nr. 110. Jena.

DWA – DEUTSCHE VEREINIGUNG FÜR WASSERWIRTSCHAFT, ABWASSER UND ABFALL E. V. (2020): Merkblatt DWA-M 620-1, Ingenieurbiologische Bauweisen an Fließgewässern – Teil 1: Grundlagen und Bauweisenauswahl. Hennef.

DWA – DEUTSCHE VEREINIGUNG FÜR WASSERWIRTSCHAFT, ABWASSER UND ABFALL E. V. (2022): Merkblatt DWA-M 620-2, Ingenieurbiologische Bauweisen an Fließgewässern – Teil 2: Planung, Umsetzung und Erfolgskontrolle. Hennef.

Rechenbuhnen sind eine einfache Bauweise zur Initiierung von Eigendynamik. Dabei werden Weidensetzstangen als Reihe in das Gewässer gesetzt. Sie lenken die Strömung außen vorbei und bewirken durch den Austrieb einen selbstverstärkenden Effekt.
Bei Beräumungsarbeiten gewonnene Wurzelstöcke können ebenfalls als Strömungslenker eingebaut werden. Wichtig ist dabei auf eine sinnvolle Dimensionierung zu achten und die Wurzelstöcke stabil zu verankern.
Bei Inselbuhnen werden Weidensetzstangen in die Gewässermitte gesetzt. Hier bereits mit erstem Austrieb kurz nach dem Einbau.
Eine Tiefenrinne, Substratsortierung, Anlandung und Bewuchs – an dieser Inselbuhne haben sich vielfältige naturnahe Strukturen gebildet.
Durch geneigte Lebendfaschinen wurden punktuell gezielt Bauweisen zur Entwicklung von Ufergehölzen eingebaut – auf den übrigen Flächen innerhalb und außerhalb des Gewässers haben sich alle weiteren Pflanzen von selbst angesiedelt.
Auch mit direkt in die Strömung gesetzten Wasserbausteinen wie diesen Lenkbuhnen lässt sich Eigendynamik initiieren.
Substratsortierung, Tiefenzonen und Fachwasserbereiche entwickeln sich schon nach kurzer Zeit.
Dr.-Ing. Andreas Stowasser